Der Fuchs und der Tränensee

von Arianne Daye 2020


Es war einmal ein kleines Dorf, inmitten eines dichten Waldes. Und am Rande des Dorfes lebte ein kleiner Fuchs in seinem Bau. 

Der kleine Fuchs war ein geschickter Jäger. Bisher war ihm noch keine Maus entkommen die ihm über den Weg lief. Daher freuten sich die Dorfbewohner auch immer, wenn sie ihn sahen. 

"Da ist ja unser kleiner Fuchs", sagten sie dann. "Unser tapferer Jäger", lobten sie ihn, denn dank dem kleinen Fuchs fraßen die Mäuse den Menschen nicht die Vorräte weg. So wohnten sie friedlich nebeneinander und der kleine Fuchs freundete sich mit ihnen an. Nur ein Dorfbewohner beäugte ihn immer misstrauisch. Aber das tat er mit allen, die ihm über den Weg liefen. Der Bauer war ein griesgrämiger Mann. Früher, so sagten die Leute, war er ein lieber und herzensguter Mensch, doch dann verließen ihn Frau und Kind und seitdem war er schlecht gelaunt und einsam.

Eines Tages  fehlten einige Hühner im Stall und der Bauer beschuldigte den Fuchs, sie geholt zu haben. Die anderen Dorfbewohner beruhigten den Mann, der Fuchs habe noch nie ihre Tiere geholt. Als an den nächsten Tagen jedoch immer mehr Hühner verschwanden, wurden sie zornig und jagten den armen Fuchs fort. 


Der kleine Fuchs wanderte tiefer in den Wald. Dort standen die Bäume so dicht, dass wenig Licht den Boden erreicht. Das Moos dämpfte alle Geräusche und nichts stört den Gesang der Vögel. Die Luft war erfüllt vom Summen der Bienen und das Rauschen der Blätter glich einem Wiegenlied.

Dort rollte er sich an den Wurzeln eines großen Baumes zusammen, der seine Zweige mit den bunten Blättern des Herbstes schützend über ihm ausbreitete. So schlief er ein, gewärmt nur von seinem rotgoldenen Fell und den Erinnerungen an das Lachen der Kinder des Dorfes. 


Ein Ohr zuckte leicht im Schlaf und drehte sich vorsichtig. Das Schnäuzchen zuckte ebenfalls. Witterte. Der kleine Fuchs schlug die Augen auf und hob den Kopf. Er hatte großen Durst und seine feinen Sinne fingen das Plätschern und den Geruch von Wasser auf.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen und nur der Mond mühte sich, sein silbriges Licht durch das dichte Blätterdach zu senden, um ihm den Weg zu erleuchten. 

Er tappste leise voran. Seine Pfoten verursachten kein Geräusch auf dem weichen Waldboden, nur eine schmale Spur, leichte Eindrücke in Klee und Kräutern, bezeugte die Anwesenheit des einsamen Wanderers. 

Ein Rascheln im Busch und die Zweige mit weißen Blüten, wie kleine Diamanten im Schein des Mondes, bogen sich auseinander, als der kleine Fuchs den Kopf hindurch steckte und ehrfürchtig verharrte. Vor ihm erstreckte sich ein wunderschöner See. Sanfte Wellen ließen das Wasser schimmern und glitzern wie den Sternenhimmel, der sich darüber erstreckte und die Landschaft nahezu magisch erscheinen ließ. 

Klares, frisches Nass umspielte die Pfoten des kleinen Fuchses, als er sich hinab beugte um zu trinken und seinen Durst zu stillen. 

Ein Schatten fiel auf das Wasser vor ihm und verdeckte die Spiegelung des Mondes. Der Fuchs hob den Kopf und sah neben sich ein junges Mädchen, von vielleicht 14 Sommern stehen. Der zierliche Körper war in ein fließendes, grünes Gewand mit kurzen Ärmeln gehüllt. Verspielt fiel es bis zu den Knöcheln herab.

Das helle Haar geschmückt mit Blumen und wie ein Wasserfall geflochten, umrahmte ein schmales Gesicht mit traurigen, braunen Augen aus denen eine tiefe Einsamkeit sprach.  

“Sei gegrüßt, kleiner Fuchs. Ich bekomme selten Besuch an diesem See. Bitte, bleibe doch und leiste mir Gesellschaft. Es ist viel zu lange her”, erklang ihre melodische Stimme. Sie ließ sich ein paar Meter entfernt auf einen flachen Stein sinken. Die Wellen umspielten ihre nackten Füße, während sie verträumt in die Ferne sah.  

Der Fuchs betrachtete sie misstrauisch. Zu frisch waren die Erinnerungen an die wütenden Rufe der Dorfbewohner und die Steine, die sie nach ihm geworfen hatten, um ihn zu verjagen. Als das Mädchen jedoch keine Anstalten machte ihn zu verscheuchen oder zu bedrohen, näherte er sich vorsichtig und schnupperte zurückhaltend an ihren Fingern. Ein Gefühl nach Heimat machte sich in seinem Herzen breit und er rollte sich neben der vertrauten Fremden zusammen um zu schlafen. Traumlos und erholsam. Aus dem Wald erklang der leise Ruf einer Eule.


Am nächsten Morgen wachte der kleine Fuchs auf, doch das Mädchen war verschwunden. Stattdessen fand er neben sich eine junge Eiche, die über den Stein wuchs und die Wurzeln zum Wasser streckte. Verwirrt lief er um den Baum herum, doch fand er keine Fußabdrücke in der feuchten Erde, keinen Geruch, der von hier fort führte. Nur das vertraute Gefühl nach Heimat, welches ihm diesmal der Baum spendete. 

Da er kein wirkliches Ziel gehabt hatte als er sein altes Heim verlassen musste, beschloss er, dass er genauso gut hier bleiben konnte.  Er wusste zwar nicht, wo das junge Mädchen hingegangen war, doch der Baum bot ihm Schutz, der See ihm Wasser und Futter, wenn er sich einige Fische fing, oder andere kleine Tiere, wenn sie herkamen um zu trinken. Und vielleicht kam das Mädchen ja am Abend wieder um ihm Gesellschaft zu leisten. 

So blieb der kleine Fuchs also an diesem See, lief an seinem Ufer entlang und erkundete den nahen Wald.  Er hatte etwa die Hälfte des kristallklaren Wassers umrundet, als er eine Stimme vernahm. Mal leiser, mal lauter sang sie ein Lied und jedes Wesen, welches die Klänge vernahm, war erfüllt von einer ergreifenden Traurigkeit.


>> Von Schwingen getragen,

durchs Dunkel der Nacht,

Mit Füßen bedacht,

an hellen Tagen,

suche ich dich, mein Kind, mein Herz.

Ein See voller Kummer,

mein Vermächtnis der Welt,

solange der Zauber hält.

Ach lass uns doch wieder vereinen,

nach Hause eilen…. 


Von Füßen getragen,

durchs Dunkel der Nacht.

Mit Wurzeln bedacht,

an hellen Tagen…

Mein armes Kind, mein Herz.

Der Wind spricht mit dir,

doch meine Stimme verhallt..

Solange der Zauber hält…

Ach lass uns doch wieder vereinen,

nach Hause eilen… <<


Neugierig schlich der kleine Fuchs näher. 

Unter einem Baldachin aus Blättern und Ranken, saß eine Frau und wiegte sich leicht vor und zurück, während ihre Finger das lange, dunkle Haar kämmten. Ihre Augen wirkten sanft, doch auch aus ihnen sprach die Einsamkeit, die der Fuchs in der Nacht auch bei dem Mädchen wahrgenommen hatte. Als die Augen seiner gewahr wurden, zog er sich rasch ein Stück in das Gebüsch hinter ihm zurück. 

“Sei gegrüßt, kleiner Fuchs. Hab keine Furcht. Komm ruhig näher. Ich freue mich, hier einen neuen Besucher zu sehen.” 

Langsam, doch nicht mehr scheu, trat der kleine Fuchs heran. Die Sonne schien auf sein rot goldenes Fell und ließ es schimmern. 

“Dein Fell erinnert mich an ein warmes Herdfeuer, daheim, vor langer Zeit”, sagte die Frau und streckte ihm die Hand entgegen. Er schnupperte und legte irritiert den Kopf schief, während er zurück zum See sah, wo die junge Eiche stand.  Die Frau folgte seinem Blick. 

“Die Eiche…. gestern noch an einem anderen Ort. So wird es wohl meine Tochter sein, gebannt in Holz, solange die Sonne am Himmel steht.” 

Sie senkte den Blick wieder zu ihrem vierbeinigen Besucher. “Seit sieben Wintern liegt ein Zauber auf uns, doch ich vermag es nicht ihn zu brechen. Auch bleibt es mir verwehrt mit ihr zu sprechen. Ich kann nur des Nachts von Ferne über sie wachen, wenn ich als Eule über den Wäldern kreise. Denn das Ufer kann ich nicht betreten, so wie sie nicht von dort fort kann.” 

Der kleine Fuchs schmiegte den Kopf an ihre Hand und sie strich ihm leicht über das Fell. 
“Es waren unbedachte Worte eines kleinen Kindes und das unbedachte Handeln einer sturen Frau. Seitdem drückt das Geschehen schwer auf mein Herz. Würdest du dir unsere Geschichte anhören?”

Da der kleine Fuchs ohnehin nichts weiter vorhatte und ebenfalls die Gesellschaft anderer vermisste, rollte er sich zu ihren Füßen zusammen und sah sie erwartungsvoll an. 

So begann die Frau zu erzählen.


“Wir lebten in einem kleinen Dorf, am Rande des Waldes. Mein Mann, unsere Tochter und ich. Mein Mann war damals Bauer. Leider weiß ich nicht, was er jetzt tut, doch ich hoffe es geht ihm gut.  Jedenfalls war es unser größtes Glück, als unsere Tochter zur Welt kam. Allerdings kamen kurz darauf einige sehr schwierige Jahre. Das Wetter war trocken und die Ernte verdorrte auf den Feldern. Die Kuh wurde krank und gab keine Milch mehr. Wir stritten und ich nahm unsere Tochter und ging. Das war im Herbst ihres siebten Sommers. Wir kamen an diesen See und schlugen unser Lager auf um zu rasten. Wütend, dass wir unser Heim verlassen hatten, weigerte sie sich weiter zu gehen und rief im Zorn ‘Ich werde nicht weiter gehen, wenn wir nicht umkehren. Und wenn ich hier Wurzeln schlage.’ Ich erschrak ob dieser Worte, denn in diesem Moment leuchtete der See auf, im Schein des Vollmondes, einer magischen Nacht. So versuchte ich das Kommende abzuwenden und gab ihr einen Armreif, den mir einst eine weise alte Frau zum Schutz gab, doch sie warf ihn weg und als der Tag kam, da ward sie ein Baum. Stumm und zart. Ich weinte, denn ich dachte, ich hätte sie für immer verloren. Ich flehte den See an, sie mir zurückzugeben, doch nichts geschah. Als es dunkel wurde, so  flehte ich doch wenigstens um die Kraft über sie zu wachen. Als meine Tränen in den See fielen, wuchsen mir Flügel. Seitdem erhebe ich mich jede Nacht als Eule in den Himmel, während sie ein Mensch ist und wandle als Mensch, während sie in Rinde erstarrt ist.”

Die Frau beendete ihre Geschichte und der kleine Fuchs wimmerte leise, so traurig sah sie aus. 

“Ach, wenn sie doch nur den Armreif genommen hätte. Vielleicht hätte es den Fluch abgewandt. Doch dafür ist es nun zu spät. Nicht einmal mehr miteinander zu sprechen ist uns vergönnt. Ich würde sie so gerne um Verzeihung bitten.”

Während sie sprach, begannen die Grillen am Ufer ihr Lied anzustimmen und die Sonne versank langsam am Horizont. Ihre letzten Strahlen färbten den Wald in einen goldenen Schein und spiegelten sich auf der Oberfläche des Sees. 

“Nun ist es wieder soweit, dass ich mich in die Lüfte schwingen muss. Lebe wohl, kleiner Fuchs. Ich danke dir, dass du dir die Geschichte einer alten Frau angehört hast.”

Kaum gesprochen, da schien die Gestalt der Frau in sich zusammen zu schrumpfen. Aus  ihren Armen wurden Flügel, aus ihren Füßen wurden Krallen. Ihr Haar und Gewand wurden zu Federn und kurz darauf sahen zwei große runde Augen über einen spitzen Schnabel zu dem kleinen Fuchs hinab. Die Eule sprang hinauf in den Abendhimmel und über dem nächtlichen Wald erklang ihr klagender Ruf. 


Der Fuchs blieb noch eine Weile an dieser Stelle liegen und dachte über das Gehörte nach. 

Konnte er etwas für die Beiden tun? Ruhelos stand er auf und nahm seine Wanderung um den See herum wieder auf. Sein Magen begann zu knurren, hatte er doch schon eine Weile nichts mehr gegessen. So suchte er sich einige Beeren, die er hungrig hinunter schlang und als eine Maus seinen Weg kreuzte, nahm er ihre Spur auf, um sie zu fangen. Hinter den Bäumen schimmerte das Wasser des Sees im Licht des Mondes und kleine Tiere huschten durch das Silber, welches auf den weichen Waldboden fiel. Hier und da leuchteten ihre Schuppen, Felle und Flügelchen auf, als wären sie in kostbare Gewänder gehüllt.  Der Fuchs schlich der Maus hinterher und setzte gerade zum Sprung an, da bemerkte er ein weiteres Leuchten im Augenwinkel. Es bewegte sich nicht, so fiel es ihm besonders auf. 

Er ließ die Maus laufen und schnupperte in die neue Richtung. Seine Schnauze zuckte ein wenig, doch konnte er kein Lebewesen dort wittern. So näherte er sich und erkannte, dass das Leuchten das Glitzern eines Schmuckstückes war, das dort im Gras lag, halb verborgen unter den gefallenen Blättern der Bäume. Spielerisch schob er eine Pfote vor und stupste den Gegenstand an. Das Metall war kühl, die Kanten abgerundet. Aufgeregt sprang der kleine Fuchs auf und ab. Näher, weiter weg. Wieder heran und zurück. Den Oberkörper dicht am Boden, Hinterteil nach oben gestreckt und die Lunte gut gelaunt wedelnd, spielte er so mit seinem silbrigen Fund, bis sein Magen ihn daran erinnerte, weshalb er sich aufgemacht hatte. So ging er erneut auf die Jagd und vergaß für den Moment, was er entdeckt hatte. 

Nachdem er gefressen und getrunken hatte, legte er sich schlafen und erwachte erst wieder, als die Sonne schon am Himmel stand. 

Wie bereits am Tag zuvor wurde ein Lied vom Winde herangetragen. 


>> Von Schwingen getragen,

durchs Dunkel der Nacht,

Mit Füßen bedacht,

an hellen Tagen,

Die Magie verwoben in Stein und Fluss

Erstarrt in silbernem Grau, zum Schutz

Ein Reif gegeben dem Herz,

welches nun voller Schmerz.


Von Füßen getragen,

durchs Dunkel der Nacht.

Mit Wurzeln bedacht,

an hellen Tagen…

Das einsame Herz in Magie gebunden,

In Stille allein, die Hoffnung verschwunden.

Nur Vergebung den Fluch beendet,

Verlorene Seelen nach Hause sendet. <<


Der traurige Klang umschloss sein Herz. Erneut fühlte er den Wunsch, Mutter und Tochter zu helfen. Und wie er so lauschte, da erinnerte er sich an den Gegenstand, den er nachts zuvor gefunden hatte, rund und fremd in diesem Wald, der so weit ab von den Menschen lag.

Doch, oh weh. Der kleine Fuchs war so viel herum gerannt, dass er nicht mehr wusste, wo er mit dem Gegenstand gespielt hatte. 

Er lief los zu dem Ort, wo er gestern Nacht seine Beute erlegt hatte. Es war ein Kaninchenbau. Der Fuchs legte sich auf den Bauch und spähte hinein, doch konnte er nichts entdecken. Kurz blitzte etwas in der Dunkelheit des Baus auf, verschwand jedoch ebenso schnell wieder. Ein leises Klopfen ertönte und der kleine Fuchs erkannte einen der Bewohner des irdenen Heims. Er schnupperte noch kurz und zog dann den Kopf zurück. Hier fand er das Schmuckstück nicht. Er setzte sich hin und überlegte. Sein flauschiger Schweif zuckte auf dem Boden hin und her und er wandte das Gesicht zur Sonne. Wie er so da saß und den Tanz der Vögel beobachtete, wurde er von einer Reflektion geblendet. Er blinzelte und sah genauer hin. Der Lichtstrahl schien aus einem Nest zu kommen, welches sicher in einer Astgabel befestigt war. Vielleicht hatte ja eine Elster sich von dem Glitzern angezogen gefühlt und den gesuchten Armreif mitgenommen? 

Der kleine Fuchs stand auf, schüttelte sich und trottete zu dem Baum hinüber, zwischen dessen Zweigen sich das Nest befand. 

Ein Eichhörnchen flitzte den Stamm hinauf, hielt kurz inne, sah den Fuchs an und huschte rasch weiter. So gut klettern wie das Eichhörnchen konnte der kleine Fuchs leider nicht, doch aufgeben kam nicht in Frage. So nahm er etwas Anlauf und sprang so hoch wie er konnte. Seine kräftigen Beine trugen ihn ein Stück am Holz empor und seine Krallen suchten Halt auf der Rinde. So zog er sich hoch und höher, ruhte sich auf einem dickeren Ast kurz aus und stieg weiter empor. Endlich war er weit genug oben. Vorsichtig setzte er eine Pfote vor die andere und balancierte auf dem schwankenden Zweig nach vorn, wo das Gebilde aus kleinen Stöcken und Blättern hing. 

Dort war er, der glitzernde und schillernde… Stein. Goldgelb strahlte er dem mutigen Kletterer entgegen. Doch so schön der Stein auch war, so war er doch nicht, was der kleine Fuchs gesucht hatte. Ein wenig enttäuscht ließ er die Ohren hängen und trat den Rückweg an. Von Ast zu Ast springend, näherte er sich dem Erdboden. Sein Blick wanderte umher um den besten Weg hinab zu finden und da sah, wonach er die ganze Zeit ausschau gehalten hatte. Diesmal war er sich sicher. Dieses silberne Blinken, das musste es sein. Vor Aufregung rutschte er ab und stürzte die letzten Meter hinunter. Raschelnd plumpste er in einen Laubhaufen und die bunten Blätter wirbelten durch die Luft, als er den Kopf wieder heraus streckte und sich verdutzt umsah. So war das nicht geplant gewesen. Noch mehr Blätter flogen umher, als sich der Fuchs aus Laub befreite.  Zielstrebig lief er dann zu dem Gebüsch, welches er vom Baum aus gesehen hatte. Tatsächlich.

Endlich konnte er das Schmuckstück in seiner ganzen Pracht sehen. Ein Armreif aus einfachem Metall, doch zart verziert mit schlanken Linien. Die Linien wanden sich um leichte, kreisrunde Erhebungen, wie das Wasser eines Flusses, welches die Steine in ihm umfloss.  

Der kleine Fuchs nahm den Armreif vorsichtig ins Maul. Dann lief er rasch zurück zum See, denn er wusste, was er nun zu tun hatte. 

Der Mond stand an seiner höchsten Stelle, als er zu dem Mädchen kam, welches am Ufer entlang spazierte. Die seichten Wellen umspielten ihre bloßen Füße.

Ein gedämpftes, hohes Bellen erklang und sie hob den Blick. Sie sah die kleine Gestalt des Fuchses auf sich zulaufen und kam ihm entgegen.  Ihre kindlichen Augen wurden groß, kaum dass sie des Geschenks gewahr wurde, welches er bei sich trug. Sie kniete sich hin und erwartete den vierbeinigen Freund. Dieser blieb vor ihr stehen und gab das Schmuckstück frei.

Mit zittrigen Fingern nahm sie den Armreif entgegen und barg ihn an ihrer Brust. 

“Mutter”, weinte sie. “Es tut mir so leid. Ach wenn ich doch meine Worte ungeschehen machen, wir beide wieder heimkehren könnten…” Sanft stupste der Fuchs sie an und rieb den Kopf an ihrem Bein um sie zu trösten. 

“Ach kleiner Fuchs. Ich danke dir, dass du mir den Reif meiner Mutter zurück gebracht hast. Wenn doch auch meine Mutter zurück käme. Nie wieder will ich ein böses Wort sprechen, wenn sie nur wieder bei mir ist.” Mit diesen Worten striff sie den Reif über ihr Handgelenk, wo er sich kühl an ihre Haut schmiegte.
Da kam eine Eule angeflogen und landete auf dem Stein, auf dem das Mädchen sonst saß. Ein sanfter Nebel umhüllte die gefiederte Gestalt und als er sich legte, saß dort eine Frau. Ihr Antlitz, dem des Mädchens so gleich, doch gezeichnet von Falten, um die sanft blickenden Augen und den lächelnden Mund.
“Mein Kind, meine Tochter”, sprach sie und breitete die Arme aus. Warm strich sie ihr über das Haar, als das Kind seine Mutter fest an sich drückte. 

“Nun ist wieder in Liebe vereint, was im Zorn getrennt ward. Lass uns nach Hause aufbrechen und deinen Vater, meinen lieben Ehemann wiedersehen.”
“Doch wie finden wir den Weg?”, fragte das Mädchen. “Es ist so lange her und der Wald doch so dicht.”

Der kleine Fuchs, der das Wiedersehen ruhig beobachtet hatte, sprang bei diesen Worten herbei und hüpfte an ihren Beinen auf und ab. Er kannte den Weg. 

So folgten die Frauen, die junge und die alte, dem rotgoldenen Fell ihres Führers durch die Nacht. Und die Schatten schienen zu weichen, wo auch immer sie gingen, denn ihr Glück strahlte hell im sonst so einsamen Wald.


Im Morgengrauen erreichten sie den Waldrand und als sie zwischen den Bäumen hervor traten, erblickten sie das Dorf, das sie einst verließen, doch noch immer ihr Zuhause nannten. Nach und nach öffneten sich die Türen und die Bewohner begannen ihr Tagewerk. Bald schon erblickten die Ersten Mutter und Tochter, die Hand in Hand näher kamen. Aufgeregte Rufe wurden laut und ein Junge rannte los und klopfte laut an eine Tür.

“Wach auf, Wach auf! Sie sind wieder da! Sie sind wieder da! Der kleine Fuchs hat sie wieder hergebracht!”, rief er laut.

Eine grummelige Stimme antwortete. “Was scheren mich jetzt noch die Hühner, die kann er behalten und wieder verschwinden.” Die Tür öffnete sich und der griesgrämige Bauer steckte den Kopf heraus. Er setzte zu einer weiteren Schimpftirade an, erblickte wer dort auf dem Dorfplatz stand und wurde ganz still. Das ganze Dorf verfiel in Schweigen, als er langsam, Schritt für Schritt näher trat und vor Frau und Mädchen auf die Knie fiel. 

“Meine geliebte Frau, mein Kind… dem Himmel sei gedankt für diese Gnade.” 

So fiel die kleine Familie sich in die Arme und es flossen viele Tränen. Doch diesmal waren es Tränen der Freude. Im ganzen Dorf erschollen Jubelrufe und abends wurde ein Fest gefeiert, um die Heimkehrer willkommen zu heißen. 

Und der kleine Fuchs? Wie sich herausstellte waren die verschwundenen Hühner nur durch ein Loch im Verschlag davongelaufen und bald wieder gefunden worden.  So durfte auch der Fuchs wieder in seinen Bau am Rande des Dorfes zurückkehren, doch zog es ihn wieder fort. Zurück zum See im tiefen Wald, einem Ort von Trauer, Liebe und Magie. Dem Tränensee.



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